Mai 21

Podium: Verfassungsräume. Wo sich Demokratie ein Gerüst gibt

Das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland blickt auf eine lange Verfassungsgeschichte zurück. Die drei Verfassungen der Frankfurter Paulskirche von 1849, der Weimarer Republik von 1919 und des Bonner Grundgesetzes von 1949 sind Meilensteine der deutschen Demokratiegeschichte und prägen die heutige demokratische Gesellschaft. Die lange Verfassungstradition in Deutschland sichtbar zu machen, ist eines der Ziele des Teilprojekts Verfassungsstädte. Auf der von der GEDG durchgeführten Podiumsdiskussion im Rahmen des Jubiläumswochenendes „175 Paulskirche“ wurden daher Fragen diskutiert wie: Wo und in welcher Form werden Verfassungen für uns greifbar? Welche Räume brauchen Verfassungen, um entstehen zu können? Und welche Räume schaffen Verfassungen? Moderator Justus H. Ulbricht diskutierte bei der Kooperationsveranstaltung der GEDG und der Frankfurter Paulskirchengemeinde mit Expertinnen und Experten aus Architektur, Kulturgeschichte und Geschichtswissenschaft sowie einem engagiert mitredenden Publikum.

Die Gäste diskutierten über die Relevanz des Begriffs der Verfassungsräume und dass er auf mehreren Ebenen relevant sei – zum einen sei er wörtlich zu nehmen, in dem Sinne, dass beispielsweise die Räume der Paulskirchenverfassung und der Weimarer Reichsverfassung auch aus Gründen der Praktikabilität genutzt wurden, zum anderen bedürfe es in multikulturellen Gesellschaften wie der unseren offener demokratischer Räume, die über ihre Architektur hinaus Möglichkeiten der Entfaltung und des gesellschaftspolitischen Engagements böten. Diese übertragenen Räume – also die Gesellschaft als Konstrukt – biete der verabschiedeten Verfassung die Möglichkeit zur Entfaltung. Es bedürfe aktiver, mutiger und engagierter Demokratinnen und Demokraten, um diese – unsere! – demokratische Gesellschaft im Rahmen der Verfassung zu gestalten und am Leben zu erhalten oder anders gesagt: der Verfassung den Raum zu geben, den sie braucht. Die Herausforderungen der Revolution von 1848 und die Spaltung der Fraktionen in der Frankfurter Nationalversammlung in liberale Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie und demokratische Forderungen nach einer Republik wurden ebenso diskutiert wie die Tatsache, dass der Begriff des Demokraten damals ein ganz anderer war als heute. Nicht zuletzt wurde sehr engagiert über die aktuellen Gefährdungen der Demokratie durch die Auflösung demokratischer Normen, das Auseinanderdriften der politischen Mitte und die Herausforderungen der Abgrenzung nach rechts diskutiert.

Erwähnung fanden auch die Räumlichkeiten des rekonstruierten Neubaus, in dem die Podiumsdiskussion stattfand: Erst vor wenigen Jahren nach langer Restaurierung der Neuen Altstadt fertiggestellt, bietet die gotische Halle mit ihren Sandsteinsäulen und dem Kreuzrippengewölbe eine beeindruckende Atmosphäre. Darüber hinaus bot das Haus beispielsweise im 13. Jahrhundert Kaufleuten, zu Zeiten der Revolution 1848/49 Fraktionen des Parlaments Raum und ermöglichte damit eine Diskussion am historischen Ort.


Foto: Das Podium in Klein Nürnberg (v.l.): Justus Ulbricht, Hans-Rudolf Meier, Anja Laukötter, Christian Faludi, 21. Mai 2023 (A. Maser/GEDG)